
Durch den russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr ist die Spendenbereitschaft der Deutschen gestiegen. Insgesamt wurden 5,7 Milliarden Euro an karitative und humanitäre Organisationen in Deutschland gespendet. Es ist ähnlich wie 2021, als die Deutschen viel Geld gaben, um die Not nach der Flutkatastrophe in Westdeutschland zu lindern.
„Im Jahr 2022 haben Geber vor allem Menschen auf der Flucht aus der Ukraine geholfen“, sagt Martin Wulff vom Deutschen Geberrat. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) untersucht der Verein jährlich das Spendenverhalten im Land. Und es schoss nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar in die Höhe. „Die meisten Spenden kamen in den Monaten Februar bis April 2022, also zu Beginn des Krieges in der Ukraine“, berichtet der Verein, der humanitäre Organisationen unterstützt, darunter auch große Kirchen.

Freiwillige in der Ukraine bringen humanitäre Hilfe in den Osten des Landes, wie hier in die im September befreiten Gebiete nahe der Stadt Lyman
Die Spenden für die „Not- und Katastrophenhilfe“ machten einen großen Sprung von 347 Millionen Euro auf 1,133 Milliarden Euro. Der Council of Funders geht davon aus, dass ein Großteil davon in die Ukraine geflossen ist, um das Leid der dortigen Binnenvertriebenen zu lindern – aber auch für Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind.
Bisher kein Spendeneinbruch durch Inflation und Energiekosten
Nicht einmal eine stark steigende Inflation und ein starker Anstieg der Energiepreise im vergangenen Dezember hätten die Spendenbereitschaft einbrechen lassen. Das bestätigt auch Dominique Mann vom “Aktionsbündnis Katastrophenhilfe” im Gespräch mit der DW. Das Bündnis besteht aus Caritas International der Katholischen Kirche, der Evangelischen Diakonie Katastrophenhilfe, dem UN-Kinderhilfswerk Unicef und dem Deutschen Roten Kreuz.
Unterstützt wird sie durch Spendenaufrufe des Zweiten Deutschen Fernsehens – elf Monate für die Ukraine. In den ersten Wochen der russischen Invasion im Frühjahr 2022 seien die Spenden “extrem hoch” gewesen, sagt Mann – und dann noch einmal kurz vor Weihnachten. Manuela Roßbach von “Aktion Deutschland Hilft” kann das bestätigen. Mehr als ein Dutzend humanitäre Organisationen haben sich hier zusammengeschlossen, darunter das Zentralsozialamt der Juden in Deutschland, World Vision und Islamic Relief Deutschland. Für die Flutkatastrophe in Deutschland sei laut Roßbach „die größte Summe 2021 mit 282 Millionen Euro“ gespendet worden, 2022 seien Spenden dieser Plattform vor allem an „die Nothilfe in der Ukraine mit rund 250 Millionen Euro“ geflossen.
Der Berliner Verein evakuierte mehr als 18.000 Menschen
Ähnliches berichtet Ulrike Lessig von „Be an Angel“. Eine Hilfsorganisation aus der deutschen Hauptstadt Berlin hat in den vergangenen elf Monaten mehr als 18.000 Menschen aus der Ukraine evakuiert – hauptsächlich über Chisinau, die Hauptstadt der benachbarten Republik Moldau. Der Verein kümmert sich in erster Linie um kranke Menschen, zum Beispiel onkologische Patienten. “Wir bringen behinderte, kranke und bereits verletzte Menschen in die medizinische Versorgung nach Deutschland”, sagt Lessig im Gespräch mit der DW.

Generatoren als einzige Energiequelle: Folgen russischer Bombenangriffe auf zivile Infrastruktur in der Ukraine
Dafür suche er “ständig nach Ärzten und Krankenhäusern, die zum Beispiel Krebs weiter behandeln können”. Darüber hinaus betreibt der Verein ein Lager in der westukrainischen Stadt Lemberg (Lemberg) und konnte zuletzt mehr als 1.000 spendenfinanzierte Stromgeneratoren ausliefern. Zudem eröffnete „Be an Angel“ in der südukrainischen Hafenstadt Odessa ein neues Büro als Anlaufstelle für kranke Menschen, die medizinische Hilfe in Deutschland suchen.
Die Freiwilligen sind erschöpft
Gleichzeitig warnt Lessig vor der geringeren Hilfsbereitschaft der Deutschen: „Ende Februar 2022 waren alle besorgt: Der Krieg steht bevor“, aber jetzt „gewöhnen wir uns langsam daran“. Denn, so Lessig, „je öfter man grausame Bilder sieht, desto härter wird man und die Probleme hier in Deutschland drängen durch“. Viele ihrer Unterstützer spenden immer noch regelmäßig für die Ukraine, aber in den Interviews fällt auf, dass sich die Menschen in Deutschland fragen: „Wie viel Essen, wie viel Heizung kann ich mir noch leisten? Worauf muss ich jetzt achten? Auch in Deutschland ist der sogenannte Krieg zu spüren.”

Ulrike Lessig von „Be an Angel“: Der Verein vermittelt unter anderem medizinische Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine
Er sieht vor allem “eine gewisse Erschöpfung” bei den Freiwilligen. Im Frühjahr 2022 beherbergte die deutsche Hauptstadt während des russischen Vormarsches auf Kiew besonders viele Flüchtlinge aus der Ukraine, die über Polen flohen und zunächst am Berliner Hauptbahnhof ankamen. Dafür haben sich viele Freiwillige gemeldet. „Es gibt Menschen, die an Feiertagen und Wochenenden ehrenamtlich helfen“, sagt Lessig. Ihre Zeit ist jedoch begrenzt. “Sie können die Ukraine nicht zusätzlich zu Ihrer Arbeit, Familie und anderen früheren Verpflichtungen retten.”

Freiwillige verteilen im Juli 2022 humanitäre Hilfsgüter am Berliner Hauptbahnhof
Dass dennoch viele Menschen in Deutschland Ukrainer privat aufgenommen haben, etwa durch ihre Organisation „Be an Angel“, zeige, dass „die Hilfsbereitschaft in den letzten elf Monaten groß war“, sagt Lessig. Es gibt noch viele Spender und Freiwillige. Allerdings spürt er auch den Niedergang unter den Ukraine-Anhängern. “Tatsächlich war klar, dass es sich regeln würde.” Und angesichts der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine in diesem Jahr fortgesetzt wird, appelliert Lessig an die Politik. Irgendwann könne man sich nicht nur auf Ehrenamtliche und Spender verlassen, irgendwann müsse “der Staat übernehmen”.