Deutsche Wirtschaft vor langer Schwächephase

München „Das Wirtschaftswachstum in Deutschland dürfte in diesem Jahrzehnt deutlich schwächer ausfallen als in den vermeintlichen Wirtschaftserfolgen der 2010er-Jahre“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. „Die Schwächung des Wirtschaftspotenzials Deutschlands ist eigenen Versäumnissen geschuldet und hat wenig mit dem Krieg in der Ukraine oder der Corona-Pandemie zu tun.“

Fratzscher: Das Wachstumspotenzial könnte noch weiter sinken

Ihm zufolge dürfte das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft in diesem Jahrzehnt unter 1,0 Prozent fallen. Dies sei vor allem auf den demografiebedingten Beschäftigungsabbau und den Fachkräftemangel zurückzuführen, sagte Fratzscher. „Wenn die ruhende Transformation zu einer Deindustrialisierung führen würde, dann könnte das Wachstumspotenzial noch weiter sinken.“

Deutschland hat in den letzten 20 Jahren vier große Fehler in der Wirtschaftspolitik gemacht. Als größten Misserfolg kritisierte der DIW-Präsident die „bislang gescheiterte ökologische Transformation, die dazu geführt hat, dass Deutschland zu sehr von fossilen und sehr teuren Energieimporten abhängig ist und die technologische Transformation hin zu nachhaltigen und innovativen Technologien überholt hat“.

Der zweite Fehler sind übermäßige Bürokratie und Interessenbindungen, die private Investitionen behindern. “Der dritte Fehler ist das Investitionsdefizit des Staates, wodurch der deutsche Staat lange Zeit von seiner Substanz gelebt hat.” Fratzscher erwähnte ein verschlechtertes Bildungssystem und eine unzureichende Infrastruktur. Die Fachkräfteproblematik als vierte Schwachstelle wird sich laut Fratzscher in den kommenden Jahren deutlich verschärfen und für viele Unternehmen zu einer existenziellen Bedrohung werden.

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Kooths: Es ist noch nicht das Ende der Fahnenstange

Beim IfW Kiel sagt Vizepräsident Stefan Kooths: „In den letzten dreißig Jahren hatten wir eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 1,4 Prozent.“ Die Mittelfristprojektion des IfW zeigt einen Rückgang auf unter 0,7 Prozent bis 2027.

“Es ist nicht das Ende der Straße”, sagte Kooths. „Das, was wir in den letzten Jahrzehnten gewohnt waren, wird also in relativ kurzer Zeit auf ein Drittel schrumpfen. Grund dafür ist die demografische Entwicklung.“ Eine alte Gesellschaft ist typischerweise weniger in der Lage, neue Technologien zu adaptieren. “Dies könnte wiederum einen Abschlag auf die Produktivitätsentwicklung bedeuten.”

Zudem rechnet Kooths damit, dass die Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung die Unternehmen viel Geld kosten wird. Daher sei selbst die deutliche Revision der Wachstumszahlen “am Ende eine ziemliche Schätzung”. Deutschland stehe “auch vor erheblichen Verteilungskonflikten, weil die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht”, sagte Kooths.

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Beim RWI Essen ist die Einschätzung sehr ähnlich: „Die Krisen der letzten zwei Jahre haben das Wachstum der deutschen Wirtschaft geschwächt, aber es würde sich in den kommenden Jahren noch verlangsamen“, sagte Chefvolkswirt Torsten Schmidt.

Schmidt: Der Hauptgrund ist die Reduzierung des Arbeitskräftepotenzials

Das Wachstum des Produktionspotenzials dürfte sich laut RWI-Mittelfristprojektion von 1 Prozent in diesem Jahr auf 0,6 Prozent im Jahr 2027 verlangsamen. „Die erwarteten Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts dürften entsprechend sinken“, sagte Schmidt. “Hauptursache ist die Reduzierung des Arbeitskräftepotenzials.” Schmidt erwähnt auch die hohen Kosten des Abschieds von fossilen Energien: „Wir gehen aber auch davon aus, dass der zur Erreichung der klimapolitischen Ziele notwendige Umbau des Kapitalstocks die Steigerung des Potenzials der – Produktion schmälern wird.“

Das Münchener Ifo-Institut rechnet bis zum Ende des Jahrzehnts unter normalen Umständen mit Wachstumsraten der deutschen Wirtschaftsleistung zwischen etwa einem halben und einem dreiviertel Prozent. „Auch ohne die diversen Krisen steht die deutsche Wirtschaft vor einem langsameren oder schwächeren Wachstumspfad“, sagte ifo-Konjunkturforscher Robert Lehmann.

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Lehmann: Die Digitalisierung entlastet

Die Baby-Boomer-Generation zieht sich aus dem Erwerbsleben zurück. Da immer weniger Menschen ins Erwerbsleben eintreten, kann der Ruhestand älterer Menschen nicht mehr kompensiert werden. „Damit wird der bereits zu beobachtende Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch deutlicher zunehmen.“ Als zusätzliche Hürde sieht Lehmann teure Energie.

Der Wirtschaftsforscher will es nicht schwarzmalen: Die Corona-Pandemie kann auch Chancen bringen oder ist bereits gewachsen. Als Beispiel nannte Lehmann die beschleunigte Digitalisierung, „die den demografischen Wandel zumindest teilweise entlasten kann“.

Auch der demografische Wandel und die Wachstumsschwäche können laut Lehmann Inflation auslösen: „In der Übergangsphase, wenn die Babyboomer in Rente gehen, bleiben die Verbraucher und ihre Kauflaune zunächst recht stabil. Im Gegenteil, es ist auch möglich, dass die hohe Ersparnis der lebenden Rentnergeneration dann zu einer deutlichen Konsumsteigerung führt.“ Die Produktionsmöglichkeiten und das Wirtschaftswachstum wären jedoch geringer. „Beides könnte mittelfristig zu deutlichen Preissteigerungen führen.“

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